Die meisten von ihnen fühlen sich auf sicherem Terrain, wenn es um Zahlen, Daten und Fakten geht. Kommen wir auf innere Themen zu sprechen, die ja eher diffus, weich, unplanbar und schwer zu benennen geschweige denn zu messen sind, geht oft das große Räuspern und Hin-und-Her-Gerutsche los und die Gesprächstemperatur sackt ein paar Grad ab.
Ich kann das sehr gut nachvollziehen, weil es mir als überzeugte Logistikerin und technisch geprägte BWLerin die meiste Zeit ganz genau so ging. „Jetzt wollen wir doch mal wieder sachlich werden“, „nun fahren erst mal alle ihre Emotionen runter und dann machen wir vernünftig weiter“ – wie oft habe ich solche Appelle in schwierigen Projektbesprechungen oder Teamsitzungen als junge Führungskraft zu hören bekommen. Als ich z.B. eine Position mit prima Karriereoptionen verliess mit der ehrlichen Begründung, dass „mein Herz nicht bei der Aufgabe ist“ bekam ich von meiner Führungskraft folgende Antwort: „Ihr Herz hat bei der Arbeit auch nichts zu suchen, das können Sie schön zu Hause lassen!“
Was bei mir ein echtes „Umparken im Kopf“ bewirkt hat, war zum einen meine zunehmende Unzufriedenheit im Job, obwohl von außen betrachtet alles prima war (Renommierte Firma, verantwortungsvolle Aufgabe, prima Gehalt, Geschäftsreisen in tolle Länder mit Übernachtung in sehr guten Hotels…). Und zum anderen eine persönliche Krise, bei deren Bewältigung ich um die Beschäftigung mit meinen Gefühlen einfach nicht herum kam. Und plötzlich war ein „Weiter so“ keine valide Option mehr.
Kopf bitte an-, Bauch bitte ausknipsen: immer noch Alltag in viel zu vielen Unternehmen
Inzwischen macht es mir zunehmend Sorge, dass sich das Missverständnis, Emotionen würden unsere Effektivität im Arbeitsleben behindern, so wacker hält. Ich erlebe nämlich immer wieder in den vielen Organisationen, die ich dank meiner Begleitungsarbeit kennenlernen darf, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Gerade das Unterdrücken der Emotionen führt zu langwierigen Missverständnissen, Konflikten, Fluktuation, Fehlentscheidungen, Erschöpfungszuständen und ungelösten Problemen – wie effektiv ist das bitte für eine Organisation? Bekommen emotionale Themen hingegen ihren angemessenen Raum (in guter Balance zu den sachlichen Themen), ermöglichst Du es den Mitarbeitenden und Führungskräften in Organisationen, sich voll und ganz einzubringen, mit all ihren Potentialen und Lösungsideen. Und vor allem entstehen stabile Beziehungen, die ein echtes „an einem Strang ziehen“ und bemerkenswerte Ergebnisse ermöglichen.
Google lieferte dafür 2016 im Rahmen einer umfassenden internen Studie den quantifizierten Beleg: Effektive Teams zeichnen vor allem „weiche“ Kompetenzen aus: 1. Psychologische Sicherheit, 2. Zuverlässigkeit, 3. Struktur und Klarheit, 4. Auswirkung der Arbeit, 5. Bedeutung der Arbeit.
Abschied von der Vorstellung des „Homo oeconomicus“
Noch mehr Klarheit bringt ein Blick auf die Ergebnisse der Hirnforschung der letzten Jahre. Die verdeutlichen, dass es den „Homo oeconomicus“, also den rein rational handelnden Menschen, der mit kühlem Kopf Kosten und Nutzen abwägt, gar nicht gibt. Dank der Neurowissenschaftler, die in vielen Studien Menschen mit „Hirn-Scannern“ beim Denken zuschauen konnten, wissen wir inzwischen, dass an jeder Entscheidung das „limbische System“ einen entscheidenden Part spielt.
Das limbische (vereinfacht ausgedrückt das emotionale) System ist das eigentliche Machtzentrum im Kopf. Hier fallen rund 70 bis 80 % aller Entscheidungen weitgehend unbewusst. Und auch die verbleibenden bewussten 30 % bis 20 % an Entscheidungen sind lange nicht so frei, wie wir glauben, sondern bewegen sich im Rahmen eines Programms, das sich im Laufe der Evolution als erfolgreich erwiesen hat. Entscheidend sind nicht rationale Abwägungen sondern tatsächlich die Emotionen.
Organisationen brauchen mehr Mut zur Ganzheitlichkeit
In vielen Organisationen ist aktuell die Unsicherheit groß, wie die richtige Antwort auf disruptive Wettbewerber, Fachkräftemangel, Digitalisierung und zunehmenden Margen- und Kundenschwund aussehen mag. Die schlechte Nachricht dabei ist, dass es keine einfachen „richtigen“ Lösungen dafür mehr gibt.
Wie wäre es denn, anstatt Lösungen wie bisher zu suchen, mal die bisher nicht ausgeschöpfte Ressource „Emotionen“ zu nutzen? Die Führungskräfte und Mitarbeitenden also ganzheitlich, mit Kopf und Bauch einzuspannen. Dann entstehen genau die innovativen Geschäftsmodelle, Produkte, Ideen, Lösungen, an denen es an vielen Stellen gerade mangelt.
Ich wünsche mir, dass Organisationen mehr Mut fassen zur Ganzheitlichkeit auf dem Weg zu wirklich effektiver Zusammenarbeit. Mut zu mehr Transformation im Innen, die dann den Weg zu erfolgreicher Transformation im Außen ebnet. Das ist alles andere als ein einfacher Weg. Mit vereinten Kräften und viel Mut zum Ausprobieren und zur Selbstreflektion, gerade auf Führungsebene, ist er jedoch schaffbar.
Viele positive Veränderungen wünscht Dir Gesine Engelage-Meyer
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